Von Aleppo über Istanbul nach Denver: „Wir mussten weg – für unsere Kinder.“

Engagement By Emily Larson Feb 20, 2018

Zwei Jahre lang verbrachten eine Mutter und ihre Kinder zusammengedrängt in ihrem dunklen Haus und wagten sich nur dann hinaus, wenn es absolut notwendig war. Und wenn sie das Haus verließen, dann unter ständiger Gefahr. Kampfflugzeuge zischten am Himmel, Fassbomben und Raketen prasselten nieder und Scharfschützen schossen aus zerstörten Gebäuden, während die verbliebenen Zivilisten an den Trümmerhaufen ehemaliger Wohnhäuser, Schulen, Büros und Geschäfte vorbei rannten.

Der folgende Beitrag, der von der freiberuflichen Autorin und freiwilligen Helferin Anita Hutner für das International Rescue Committee (IRC) geschrieben wurde, erzählt die Geschichte einer Familie aus Syrien, die in die Vereinigten Staaten umgesiedelt ist. Dieser Beitrag wird mit Genehmigung des International Rescue Committee, einer von der Western Union Foundation* geförderten Nichtregierungsorganisation, erneut veröffentlicht.

Assad und Sabah besaßen ein bescheidenes Haus in der syrischen Stadt Aleppo, wo sie gemeinsam mit ihren sechs Kindern lebten, darunter ein kleiner Sohn mit Autismus. In ihrer lebendigen Nachbarschaft wohnten viele Verwandte und Freunde. „Wir führten ein ganz normales Leben, es war ein sicherer Ort“, so Assad. „Unsere Eltern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen lebten alle in derselben Gegend. Wir haben uns gegenseitig unterstützt“, schaltete sich Sabah ein. „Wir waren glücklich in Aleppo“, sagte sie wehmütig. „Damals hätte ich nie gedacht, dass ich mal woanders leben würde. Das war mein Zuhause.“ Im Jahr 2011 änderte sich ihr friedliches, sicheres und glückliches Leben jedoch.

„Ganz am Anfang des Krieges war es noch nicht so schlimm. Es gab einige Kämpfe und Unruhen, aber das Leben verlief weitestgehend normal“, so Sabah. Assad ging für einige Monate in die Türkei, um gemeinsam mit seinem Bruder zu arbeiten, der sich bereits im Land etabliert hatte. Assad versuchte, Sabah davon zu überzeugen, sich ihm anzuschließen, doch sie wollte nicht weg. Sie wollte ihr Haus, ihre Familie und ihre Freunde nicht verlassen und versicherte Assad, dass alles gut werden würde. Sie dachte, dass die Unruhen nicht von Dauer sein würden und dass bald wieder Normalität einkehren würde. Doch das war leider nicht der Fall.

„Im Laufe der Monate wurde es immer schlimmer. Immer mehr Menschen wurden getötet. Und dann kamen die Flugzeuge mit den Fassbomben, die ganze Blöcke und Wohnhäuser ausradierten, in vielen befanden sich ganze Familien“, fuhr sie unter Tränen fort. „Eines Tages schickte ich meinen älteren Sohn zur Bäckerei, um Brot zu holen. Ein Nachbar rannte auf mich zu und sagte, dass die Bäckerei bombardiert worden sei. Ich lief weinend nach draußen und als ich aufblickte, kam mein Sohn mir entgegen.“ Während dieser Zeit erfuhr sie, dass sie mit ihrem siebten Kind schwanger war.

Sabah hatte Angst. Als sie die Geräusche von Flugzeugen und Raketen hörte, rief sie alle sechs Kinder zusammen und versteckte sich mit ihnen im Badezimmer. Es gab keinen Strom. Es war dunkel. Das alltägliche Leben gestaltete sich immer schwieriger. Der Stress wurde allmählich unerträglich. Assad eilte nach Hause, entschlossen, seine Familie in die Türkei zu bringen. Gleichzeitig wurden die beiden von Sabahs Eltern gebeten, weiterhin mit ihnen in Aleppo zu bleiben. Da sich die Lage verschlimmerte und ein Baby auf dem Weg war, sah Sabah endlich ein, dass es Zeit für die Flucht war.

Obwohl viele Menschen ohne Papiere in die Türkei gingen, wollte Assad sicherstellen, dass seine Familie die richtigen Dokumente und Pässe hatte – eine hilfreiche Entscheidung, wie sich später herausstellte. Dieser Prozess dauerte und die Wege zu den Behörden waren extrem gefährlich. Beim Abholen der Dokumente mussten Sabah und er immer wieder Scharfschützenkugeln und Bomben ausweichen. Jedes Mal, wenn sie das Haus verließen, waren sie sich nicht sicher, ob sie wieder gesund heimkehren würden.

„Ich wusste in meinem Herzen, dass wir für unsere Kinder das Land verlassen mussten. Aber es war sehr schwierig, meine Eltern und andere Familienangehörige zurück zu lassen“, erklärte Sabah mit Tränen in den Augen. „Es war schwer, diesen Schritt zu unternehmen, aber wir konnten nicht bleiben.“ Das war kein Leben“, so Assad. „Wir wollten eine Zukunft für unsere Kinder, damit sie ohne Angst um ihr Leben und ihr Zuhause aufwachsen könnten.“

2014, mit den Reisepässen in der Hand, ging die Familie in die Türkei. Sie lebten für kurze Zeit bei Assads Bruder und seiner Familie und zogen dann in ein nahegelegenes Haus, wo das Baby geboren wurde. Es war schwer. Und obwohl registrierte syrische Flüchtlinge Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen hatten, sah sich die Familie, wie so viele andere auch, ständig mit Hindernissen konfrontiert. Sie sprachen die Sprache nicht und Assad hatte den Job verloren, den er zuletzt in der Türkei hatte. Damals gab die Türkei syrischen Flüchtlingen keine Arbeitserlaubnis, wodurch sich die Situation noch schwieriger gestaltete. Für die jüngeren Kinder und ihren an Autismus erkrankten Sohn war die Schule ein Luxus, den sich die Familie nicht leisten konnte.

Obwohl die Situation nicht einfach war, boten viele Menschen in der örtlichen Gemeinde ihre Hilfe an. „Ich habe eine Frau kennengelernt, die Arabisch sprach und unsere Küche für uns eingerichtet hat“, sagte Sabah. „Andere halfen beim Putzen und kauften ein Kinderbett und Kleidung für das Baby“, fuhr sie fort. „Dahinter stand keine Organisation. Das waren Leute in der Gemeinde, die mit vereinten Kräften helfen wollten. Es gibt überall gute Menschen und obwohl das Leben hart für uns war, gab uns das Zuversicht für die Zukunft.“

Nach der Registrierung bei den Vereinten Nationen (UNO) und dem Versuch einer türkischen Organisation, die Behandlung ihres autistischen Sohns voranzutreiben, wurde die Familie von der International Catholic Migration Commission (ICMC) kontaktiert, eine Organisation, die von der UNO weitergeleitete Anträge von Flüchtlingen bearbeitet. Sie mussten sich einer anstrengenden Befragung unterziehen und viele bürokratische Hürden überwinden – ein Verfahren, das mehr als ein Jahr dauerte. Zwei Monate nach Verfahrensabschluss wurde der Familie mitgeteilt, dass sie in die USA kommen würde.

Die Familie traf am 19. Januar 2017 in Denver ein, nur wenige Tage bevor das erste Reiseverbot der US-Regierung für Flüchtlinge und Bürger aus dem Iran, Irak, Libyen, Somalia, Sudan, Syrien und Jemen in Kraft trat. Das International Rescue Committee (IRC) in Denver half der Familie bei der schnellen Eingliederung. Die Kinder wurden für die Schule angemeldet, auch ihr autistischer Sohn. Assad bekam einen Führerschein und das IRC half ihm bei der Jobsuche. Die Familie mietete ein Haus in einer netten Nachbarschaft und erhielt dank ihres neuen Freundes und Vermieters Steve sogar ein Auto. Obwohl es wie in der Türkei einige Zeit brauchte, sich zurechtzufinden, nahmen sich viele Menschen die Zeit, um ihnen auf dem Weg in das neue Leben helfen.

Inzwischen fühlt sich diese Familie in den USA fast wie zuhause. Assad hat einen neuen, besseren Job, und wenn er nicht arbeitet, nimmt er Englischunterricht. Sein Traum ist es, eines Tages seinen Lebensunterhalt als Schlosser zu verdienen – das war sein Beruf in Aleppo. Sabah arbeitet in Teilzeit und kümmert sich um die Familie. Wenn die Kinder in der Schule sind, lernt sie Nähen und erreichte dabei vor kurzem die nächste Ausbildungsstufe. Ihr Traum, Schneiderin zu werden und eine Näherei zu gründen, rückte dank des hilfreichen Vermieters Steve immer näher. Vor kurzem brachte er eine Nähmaschine mit, die seiner Mutter gehört hatte.

Anfangs war es für die Kinder schwierig, sich auf die neue Kultur und Sprache einzustellen. Aber jetzt fühlt sich Denver wie ihr Zuhause an. „Unsere Kinder kommen in der Schule gut zurecht. Einer unserer Söhne will Computeringenieur werden, einer will Polizist werden und der andere träumt davon, Musiker zu werden“, sagte Sabah mit einem Lächeln. „Und nach neun Monaten kann unser autistischer Sohn, der bisher nie mit uns kommuniziert hatte, mit Hilfe von Lernkarten mit uns sprechen“, fuhr Assad fort. „Nachdem wir so viel durchgemacht haben, freuen wir uns, dass unsere Kinder lernen und Erfolg haben, voller Hoffnungen und Träume für die Zukunft.“

„Obwohl wir ganz neu anfangen mussten, sind wir dankbar für dieses neue Leben“, so Assad. „Uns bedeutet diese Chance sehr viel und wir wissen, dass wir es mit harter Arbeit und Geduld schaffen werden.“